(This is a review of the book by Austrian author Andreas Salcher, Der talentierte Schüler und seine Feinde. Because the book is written in German, so is this review. In short, Salcher says schools pay too little attention to discovering and nurturing the talents of their students. His three-sentence summary can be roughly translated as this: It’s all about the teachers, only about the teachers. We all are the talented pupil’s worst enemy. We bear the responsibility for our children’s talents.)
Andreas Salcher fasst sein Buch gleich selber in drei Sätzen zusammen: Es geht um die Lehrer – und nur um die Lehrer. Der grösste Feind des talentierten Schülers sind wir alle. Die Verantwortung für die Talente unserer Kinder liegt bei uns selbst. Die Zusammenfassung ist insofern interessant, als dass sie die Systemkritik, die einen Grossteil des Buches ausmacht, nicht aufgreift. Ebenso Salchers Lösung: Wir sollen als Lehrer nur die besten nehmen, sie anständig bezahlen, und dazu schauen, dass sie hoch geachtet werden. Diese Schlussfolgerungen überraschen um so mehr, als er mit seinen Kritiken durchaus ins Schwarze trifft. Vom Leben isoliert seien die Schulen, ein überholtes Produkt des Industriezeitalters nach Fliessbandmodell, sie verbissen sich in Schwächen und förderten die Stärken zuwenig, sie gewichteten nicht alle Arten der Intelligenz (nach Howard Gardner) gleich, sie schafften eine Atmosphäre, wo alle auffallenden Kinder zurückgestutzt würden. An den Lehrergewerkschaften lässt er kein gutes Haar: sie würden die nötigen Veränderungen stur blockieren, den Lehrern zwar den einen oder andern Ferientag zuschanzen, aber dafür ihren Ruf ruinieren. Politikern fehle der Mut; den Linken der Mut zur Förderung begabter Kinder, den Rechten der Mut zur Förderung des Gesamtniveaus. Und all diese Probleme würden mit einer besseren Lehrerauswahl hinfällig?
Natürlich hat der Autor seine Gründe, und seine Aussage, es liege nur an den Lehrern, fusst auf Studien, allen voran der McKinsey-Studie von Michael Barber und Mona Mourshed. (Es gibt seitdem eine weitere Studie dieser Autoren.) Selbstverständlich kann ein guter Lehrer einem Kind den nötigen Anschub geben, um Erfolge zu erreichen – so selbstverständlich, dass man sich fragt, weshalb es eine Studie dazu brauchte. Aber wenn das System krankt, kann es denn reichen, die Lehrer auszutauschen? Wenn ich in einem Döschwo alle rostigen Schrauben durch neue ersetze, verhindere ich vielleicht gewisse Schäden, aber letzlich stehe ich immer noch mit einem Döschwo da – fahrtüchtig zwar, aber nicht Stand der Technik. Implizit fordert Herr Salcher auch einen Systemwechsel, wenn er uns ermutigt, die Dienstleistungen des Schulsystems mit jenen des Gesundheitswesens zu vergleichen – fehlt ihm zum expliziten Aufruf der Mut, den er fordert, unterlässt er den Aufruf aus Kalkül (lieber das Machbare fordern), oder kann er sich schlicht kein anderes System vorstellen? Diese Frage kann ich nicht beantworten, vermute aber, dass es eine Kombination der letzten zwei Gründe ist, unter anderem, weil er den Heimunterricht mit keinem Wort erwähnt.
Dabei wäre der Heimunterricht eine kreative Möglichkeit, viele seiner Forderungen nach Begabungsentdeckung und -Förderung zu erfüllen. Er sieht diese Möglichkeit aber nur so weit, dass “Eltern […] Volksschullehrern […] sehr dabei helfen [könnten], wenn sich ein bestimmtes Lernfenster bei ihrem Kind gerade geöffnet hat. Diese individuelle Förderung, die im Interesse des Kindes wäre, ist aber heute fast nie im System der öffentlichen Regelschule vorgesehen – und auch nicht im Zeitbudget der Eltern.” Wenn die Eltern keine Zeit haben, ihre Kinder neben des Schulunterrichts begleitend zu unterstützen, so wird es sehr wenige geben, die ihre Kinder gänzlich selbständig unterrichten wollen – wahrscheinlich so wenige, dass Herr Salcher, wenn er an den Heimunterricht gedacht haben sollte, diesen als ein Minderheitenprogramm ausgeklammert hat.
Ganz generell stösst Andreas Salcher aber ins richtige Horn. Er hat mit scharfem Blick einige Missstände erkannt und analysiert, und sagt klipp und klar: “Jeder Mensch und daher jeder Schüler ist total verschieden. Eigentlich brauchten wir für 28 Schüler daher 28 Klassen mit eigenen Lehrern.” Vor dem Hintergrund, dass die Individualität unserer Kinder so viele Formen annimmt, sollten den Eltern auch so viele Unterrichtsformen wie nur sinnvoll möglich zur Verfügung stehen – von Volksschulen mit exzellenten Lehrern bis zum Heimunterricht mit jenen zwei Lehrern, welche die grösste Verantwortung fürs Talent ihrer Kinder tragen.
Ich empfehle das Buch zur Lektüre und leihe es auch gerne aus, wenn unterstrichene Stellen und Gekritzel nicht stören. Wer lieber aktueller sein will (das Buch ist 2008 erschienen), kann auf Herrn Salchers Blog weiterlesen, wo es auch zum talentierten Schüler und seinen Feinden Einträge gibt.